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14
04
2021

Auch Profis leiden unter Verhaltenseffekten.

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Die klassischen Verhaltenseffekte von Anlegern sind in der Behavioral Finance umfangreich dokumentiert. Weniger bekannt ist dagegen, dass auch professionelle Anlageberater davon betroffen sind. Mit diesem Thema befasst sich das Paper „The Psychology of Financial Professionals and their Clients“, das wir im Folgenden zusammenfassen.

Das Spannungsfeld von Berater und Kunde

Das eingangs genannte Paper befasst sich mit Verhaltenseffekten, die im Spannungsfeld von Finanzberatern und ihren Kunden auftreten. Einerseits helfen die Berater natürlich dabei, bessere Anlageentscheidungen zu treffen, turbulente Phasen zu überstehen und den langfristigen Fokus zu wahren.

Andererseits sind auch professionelle Berater nur Menschen, sodass ihr Verhalten nicht immer im besten Interesse der Kunden ist. Das liegt unter anderem daran, dass sie eigene Ziele wie den Aufbau und die Erhaltung ihres Kundenstamms verfolgen. Deshalb kann es schwierig sein, unangenehme Themen und neue Alternativen anzusprechen, wenn diese beim Kunden das Verlassen der Komfortzone erfordern – auch dann, wenn es in dessen eigenem Interesse ist.

Kognitive Effekte

Finanzberater müssen bei ihrer Arbeit gewisse Vereinfachungen machen, um in der Lage zu sein, verschiedene Anforderungen in angemessener Zeit zu erledigen. Das können Heuristiken zur schnelleren Entscheidungsfindung oder Erfahrungswerte wie der „gesunde Menschenverstand“ sein. Allerdings treten in diesen subtilen, nicht-quantitativen Bereichen regelmäßig ungünstige kognitive Effekte auf (mehr zu diesem Thema erfahren Sie hier). Hinzu kommt, dass Berater ihren Fähigkeiten vertrauen müssen, um kompetent und überzeugend zu wirken, was einen wichtigen Faktor zum Abschluss von Geschäften darstellt – ohne aber dabei in die ungünstige Overconfidence abzudriften. Das Paper beschreibt zwei konkrete Beispiele für kognitive Effekte.

Beispiele für kognitive Effekte:

Festhalten an bisherigen Glaubenssätzen trotz überzeugender, gegenteiliger Evidenz, um kognitive Dissonanz zu vermeiden
Schwierigkeiten, wichtige von unwichtigen Informationen zu unterscheiden, auch infolge vorheriger Erfahrungen und gegenwärtiger Ablenkungen

Vor allem diejenigen Berater, die umfangreiches Wissen und langjährige Erfahrung haben, können kognitive Effekte bei sich selbst in der Regel deutlich verringern. Im Idealfall helfen sie auch ihren Kunden dabei, rationaler zu entscheiden, etwa durch das Festlegen von Regeln. Dieser Prozess wird entsprechend auch „Debiasing“ genannt.

Emotionale Effekte

Während sich kognitive Effekte vergleichsweise gut reduzieren lassen, sind emotionale Effekte tiefer verankert und schwierig zu vermeiden. Der Grund dafür ist, dass die gleiche Information je nach emotionaler Verfassung durchaus unterschiedlich interpretiert werden kann. Hinzu kommt, dass wir uns als Menschen lieber gut als schlecht fühlen. Deshalb möchten wir Dinge erleben, die positiv sind und zögern, negative Tatsachen zu akzeptieren. Ein gutes Beispiel hierfür ist, dass viele Anleger mit Stolz erfüllt sind, wenn sie eine Aktie mit Gewinn verkaufen, aber es bedauern, mit Verlust aussteigen zu müssen – unabhängig davon, ob dies objektiv die richtige Entscheidung ist.

Eine zusätzliche emotionale Belastung für Finanzberater sind Krisenphasen. Das Paper nennt eine Untersuchung der Finanzkrise von 2008/09, die zu dem Ergebnis kam, dass 93 Prozent der betrachteten Finanzplaner ein mittleres bis hohes Niveau an Symptomen für posttraumatischem Stress aufwiesen.

Lösungsansätze

Das Paper befasst sich auch mit Lösungsansätzen für ausgewählte Effekte. Davon sind im Folgenden fünf der wichtigsten Ideen zusammengefasst:

Um den Confirmation Bias zu vermeiden, kann im Analyseprozess festgelegt werden, dass eine Checkliste mit einer gewissen Anzahl an Gegenargumenten zum favorisierten Szenario erstellt werden muss
Die Kontrollillusion lässt sich eingrenzen, indem ausschließlich Handlungsoptionen betrachtet werden, die im eigenen Einflussbereich liegen, während externe Dinge ausgeblendet werden
Der Hindsight Bias kann unterbunden werden, indem Berater genaue Aufzeichnungen ihrer Vorschläge und Empfehlungen führen, die auf den zum jeweiligen Zeitpunkt verfügbaren Informationen beruhen; so bleiben alternative Szenarien, die nicht eingetreten sind, im Nachhinein ersichtlich
Der Framing Bias lässt sich aushebeln, indem eine andere Perspektive eingenommen wird. Fällt es beispielsweise schwer, eine Position mit Verlust zu verkaufen, kann dies mit der Frage, ob die Aktie zum aktuellen Kurs kaufenswert wäre, umgedeutet werden – ein passives Festhalten an der Position ist dann gleichbedeutend damit, sich aktiv erneut für dieses Investment zu entscheiden
Overconfidence ist ausgerechnet bei weniger erfahrenen Beratern ein Problem. Eine Möglichkeit, den Effekt abzuschwächen ist es, langsamer zu einer Entscheidung zu kommen und jedes denkbare Szenario separat und unabhängig zu beleuchten. Auch das Einholen einer zweiten Meinung stellt eine gute Lösung dar.
Nicht nur Anleger, sondern auch Finanzberater sollten sich die verzerrenden Verhaltenseffekte bewusst machen, denen sie unterliegen und die ihre Arbeit beeinträchtigen können.

Schlussfolgerungen

Nicht nur Anleger, sondern auch Finanzberater sollten sich die verzerrenden Verhaltenseffekte bewusst machen, denen sie unterliegen und die ihre Arbeit beeinträchtigen können. Dafür ist ein gewisses Maß an Achtsamkeit und Bewusstsein für diese Problematik notwendig.

Als abschließende Empfehlungen geben die Autoren des Papers folgende Tipps:

ein Journal nutzen: Berater sollten eine Art Tagebuch führen, in dem sie festhalten, wie sie auf bestimmte Ereignisse an den Märkten reagieren; im Nachhinein lassen sich darin mitunter ungünstige Verhaltenseffekte erkennen und bewusst machen, woraus sich ein Lerneffekt ergibt, um diese beim nächsten Mal zu vermeiden
ein Anlagekonzept erstellen: Berater, die sowohl ihre eigenen Verhaltenseffekte als auch die ihrer Kunden verstehen, können ein klares, objektives Anlagekonzept erstellen; darin werden die Asset Allocation sowie Renditeziele, Risiken und Rahmenbedingungen festgelegt, wodurch sich die größten verhaltensbasierten Fehler vermeiden lassen
quantitative Kriterien festlegen: darüber hinaus können objektive, definierte Strategien und allgemeine Handelsregeln festgelegt werden; dies schränkt den Spielraum für emotionale Entscheidungen oder unerwünschtes, spontanes Handeln auf Basis von Gerüchten ein
fundamentalen Anlageprinzipien folgen: auch einfache, allgemein anerkannte Prinzipien haben einen Mehrwert, wenn sie über lange Zeit fortlaufend berücksichtigt werden; dazu zählen etwa der Fokus auf den langfristigen Anlagehorizont, ausreichende Diversifikation und regelmäßige Rebalancings

Fazit

Nicht nur Anleger, sondern auch Berater – sowohl für aktive als auch passive Investments – unterliegen verschiedenen, potenziell nachteiligen Verhaltenseffekten. Einige davon sind fest im menschlichen Gehirn verankert, sodass wir uns ihnen überhaupt nicht bewusst sind. Andere lassen sich dagegen wie beschrieben abmildern oder vermeiden. Eine interessante Alternative sowohl für Anleger als auch Berater sind systematische Ansätze, bei denen der Fokus auf objektiven, überprüfbaren Rückrechnungen statt auf persönlichen Einschätzungen und Präferenzen liegt. Dadurch wird der Einfluss möglicher Verhaltenseffekte auf das Anlageergebnis weiter reduziert. Ganz vermeiden lassen sich die Effekte jedoch nicht, denn auch im algorithmischen Handel werden die Entscheidungen auf der Meta-Ebene noch von Menschen getroffen.

Quellen

Baker, H. K. / Filbeck, G. / Ricciardi, V. (2019), The Psychology of Financial Professionals and their Clients, Investments & Wealth Institute

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