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04
2021

Der 11/9 Quant Crash.

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Quants zählen zur Elite an den Märkten, aber sind deshalb noch lange nicht unfehlbar. Gerade in Jahren wie 2020, in denen extrem unwahrscheinliche Ereignisse gleich mehrfach auftreten, müssen sie herbe Verluste einstecken.

Einmal in aller Ewigkeit

9/11 ist ein Datum aus dem Jahr 2001, an das viele Menschen mit Angst und Schrecken zurückdenken: Die Terroranschläge in den USA. Die umgekehrte Reihenfolge, 11/9, geht dagegen als Tag einer befreienden Nachricht in die Geschichte ein. Denn am 9. November 2020 wurde ein wirksamer Corona-Impfstoff angekündigt. Die Märkte feierten die Meldung mit einem Kurssprung – doch nicht alle waren glücklich über die rasante Kehrtwende, vor allem nicht die Quants.

Ein Artikel auf Bloomberg brachte es auf den Punkt: Ein Quant-Schock, der eigentlich niemals passieren könnte, trifft die Modelle hart. [1] Jon Quigley, CIO von Great Lakes Advisors, hat berechnet, dass der Crash des Momentum-Faktors an diesem Tag unter theoretischer Annahme einer Normalverteilung nur einmal in – halten Sie sich fest –5.944.505.312.905.660.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000 Tagen auftreten dürfte.

Wir haben das nicht nachgerechnet. Aber auch eine Zehnerpotenz mehr oder weniger wäre unerheblich. Denn entscheidend ist die schier unvorstellbare Größenordnung. Zum Vergleich: Unser Universum ist etwa 13,8 Milliarden Jahre alt, was nur rund 5.000.000.000.000 Tagen entspricht.

Zwar kann man an den Märkten nicht von einer Normalverteilung ausgehen, aber selbst unter Annahme deutlich häufigerer Extremwerte mit stark ausgeprägten Fat Tails war die plötzliche Rotation ein riesiger Schock für jedes Risikomodell. Denn während Momentum-Werte schlagartig crashten, explodierten gleichzeitig Small Caps und Value-Aktien.

Das Ereignis erinnert an eine Befürchtung, die so manchen Experten umtreibt: Das viele in Quant-Strategien investierte Geld könnte ein Crowding verursachen – und ein unerwartetes Trigger-Event dann einen verheerenden Crash auslösen. Dass dieses Szenario keineswegs aus der Luft gegriffen ist, wissen Quants schon lange. Vor allem diejenigen, die im August 2007 bereits im Geschäft waren.

Die nachfolgende Grafik zeigt die Entwicklung der von Quant Hedge Funds verwalteten Assets in den letzten fünf Jahren. Die Daten stammen aus der proprietären Datenbasis von Aurum Funds. Die führende, nicht kostenfrei zugängliche Datenbank von Hedge Fund Research weist dagegen ein insgesamt höheres Niveau der Assets under Management aus.

quant hedge funds assets
Bild 1) Quant Hedge Fund Assets
Quelle: Aurum Funds

Der Quant Meltdown

Der 6. August 2007 war kein gewöhnlicher Wochenstart. Innerhalb weniger Tage sollte sich eine der turbulentesten Phasen abspielen, die der Quant-Bereich jemals erlebt hat. Nach vielen Jahren mit attraktiven Renditen drängten nicht nur immer neue Anleger in quantitative Strategien, sondern es wurde auch mit vergleichsweise hohen Hebeln hantiert. Das machte das System inhärent instabil.

Es brauchte nur noch einen Trigger, der den Crash auslöste. Wie George Mussalli in „Quant Meltdown: 10 Years Later“ schreibt, geschah dies beim ersten Abbröckeln des damaligen Subprime-Marktes. Nach Jahren abnehmender Kreditqualität, sinkender Kreditvergabestandards und beträchtlicher Mittelzuflüsse drehte der Wind, sodass bei den großen Adressen plötzlich und gleichzeitig Liquidität gefragt war – und diese gab es vor allem im Quant-Bereich. Kurzfristig wurden so viele Positionen glattgestellt, dass es zu unbeabsichtigten Dominoeffekten kam: Die die Volatilität der Faktorrenditen stieg in kürzester Zeit um das Fünffache, und sonst unkorrelierte Faktoren liefen plötzlich synchron – eine Katastrophe für die Risikomodelle. [2]

Gary Chropuvka, der heutige Co-Head für Quant-Strategien bei Goldman Sachs Asset Management, sagte gegenüber der Financial Times zu seinen damaligen Erfahrungen:

All das hat akademisch funktioniert, und lange Zeit hat es in der Praxis funktioniert, und dann hat man plötzlich dieses schreckliche Ereignis. Es war die demütigendste Erfahrung unseres Lebens.
Wigglesworth, R. (2020), Goldman Sachs’ lessons from the ‘quant quake’

Weltweit mussten Quants in der damaligen Chaos-Woche ihre Risiken schnell abbauen, indem sie weitere Positionen liquidierten. Das führte nach kürzester Zeit zu teils extremen Kursbewegungen einzelner Aktien. Schließlich wurden fundamentale Anleger auf den Plan gerufen, die bei besonders gebeutelten Titeln ihre Chance erkannten und die Kurse zum eigenen Vorteil stabilisierten. Am Ende der turbulenten Woche war der Spuk vorbei und viele der betroffenen Aktien handelten wieder dort, wo sie zu Beginn der Woche standen. Fast so, als wäre überhaupt nichts passiert.

Das Paper nennt auch konkrete Faktoren, die zum damaligen Crash beitrugen: Es gab weltweit viele Quant-Teams, die unabhängig voneinander Modelle entwickelten – doch diese waren plötzlich stark korreliert und erlebten zur gleichen Zeit hohe Drawdowns. Die entscheidenden Katalysatoren dafür waren die ähnliche Denkweise, in der Entwicklung von Strategien auf faktorbasierte Variablen zu setzen, sowie die gleiche Methodik zur Portfoliokonstruktion und im Risikomanagement. [2]

Kann sich die Geschichte wiederholen?

Zwar nutzen Quants heute insgesamt niedrigere Hebel als 2007, aber gleichzeitig managen sie mehr Kapital. Hinzu kommt, dass vorgefertigte Datensätze und Modelle es auch weniger erfahrenen Marktteilnehmern ermöglichen, sich im Quant-Bereich zu behaupten. Big Data und Machine Learning werden ganz selbstverständlich eingesetzt und selten hinterfragt, aber letztlich könnte sich eine Vielzahl der Algorithmen auf eine begrenzte Anzahl gut vermarkteter Datensätze beziehen und ähnliche Muster lernen. Außerdem sind quantitative Ansätze heute auch in vielen Standardinvestments enthalten, sodass ein Crash weitreichende Auswirkungen haben könnte.

Doch der letztgenannte Punkt ist gleichzeitig auch ein Gegenargument: Die heutige Breite an Konzepten und Strategien, die zum Einsatz kommen, sollte die inhärente Stabilität des Systems erhöhen. Zudem haben (hoffentlich) genügend viele Quants nachhaltig aus dem damaligen Crash gelernt und sind vorrangig damit beschäftigt, herauszufinden, was schief gehen kann, und nicht damit, wie man die maximale Rendite herauskitzelt.

quant performance 2020
Bild 2) Quant-Performance 2020
Dargestellt ist die bisherige Performance der einzelnen Quant-Substrategien im Jahr 2020 basierend auf der proprietären Datenbasis von Aurum Funds. Stand: 25.11.2020.
Quelle: Aurum Funds

Eines steht jedenfalls fest: Die Quant-Performance war zuletzt weitaus schlechter als bis zum Jahr 2007, als der Crash passierte. Das liegt daran, dass sich Quants mit weiteren Herausforderungen herumschlagen müssen, insbesondere schnelleren Wechseln der Marktregimes, wofür das Jahr 2020 das beste Beispiel war. Bekannte Quant-Pioniere wie Renaissance Technologies, Two Sigma und AQR Capital liegen deshalb auf Jahressicht tief im roten Bereich.

Fazit

Ereignisse, die statistisch betrachtet höchstens einmal in einer Ewigkeit passieren sollten, treten an den Märkten weitaus häufiger auf. Gleichzeitig lassen sich diese Szenarien kaum quantifizieren. Deshalb ist und bleibt das Quant-Geschäft auch für die absolute Elite der Marktteilnehmer mit den besten technischen Fähigkeiten und höchsten Abschlüssen eine immerwährende Herausforderung.

Quellen

[1] Lee, J. (2020), Quant Shock That ‘Never Could Happen’ Hits Wall Street Models, Bloomberg, https://www.bloomberg.com/news/articles/2020-11-13/quant-shock-that-never-could-happen-hits-wall-street-models, Zugriff am 18.11.2020
[2] Mussalli, G. (2018), Quant Meltdown: 10 Years Later, PanAgora Asset Management
[3] Wigglesworth, R. (2020), Goldman Sachs’ lessons from the ‘quant quake’, https://www.ft.com/content/fdfd5e78-0283-11e7-aa5b-6bb07f5c8e12, Zugriff am 25.11.2020

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