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04
2021

Ein Modell für rationale technische Strategien.

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Grundlegende Modelle sind die Basis, auf der sich konkrete Handelskonzepte aufbauen lassen. Eines dieser Modelle veröffentlichte Stephan Schulmeister in seiner Studie, die untersucht, wie technische Analyse und Aktienkurse wechselwirken.

Die Technische Analyse zählt zu den in der Praxis am häufigsten verwendeten Analyse- und Handelsmethoden an den Märkten. In der akademischen Forschung wurde und wird diese Analyseform dagegen häufig belächelt und entsprechend vernachlässigt. Zwar treffen einige Modelle bestimmte Annahmen zum sogenannten „Noise Trading“, aber verfehlen dabei das eigentliche Wesen der technischen Analyse. Die Studie „The Interaction Between the Aggregate Behaviour of Technical Trading Systems and Stock Price Dynamics“ beschreibt dagegen ein Modell, in dem rationale technische Analyse und deren Wechselwirkung mit Aktienkursen berücksichtigt wird. [1]

Der Zusammenhang

Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Annahme, dass technisches Trading fester Bestandteil des Marktgeschehens ist. In dieser Funktion kann es einen Angebots- oder Nachfrageüberschuss verursachen, wenn verschiedene Strategien entsprechende Cluster an gleichgerichteten Signalen hervorrufen. So können initiale Kursbewegungen, die zum Beispiel durch Nachrichten ausgelöst werden, durch Sequenzen von Trades auf Basis trendfolgender Strategien verstärkt werden. Gibt es viele Signale in gleiche Handelsrichtung, kann es zu einem (destabilisierenden) Überhang an Kauf- oder Verkaufsaufträgen kommen. Ist das der Fall, entsteht ein Feedback-Prozess zwischen den Bewegungen der Aktienkurse und den Signalen bzw. Transaktionen der Strategien: Steigen die Kurse, produzieren die technischen Modelle zunehmend Kaufsignale (und umgekehrt).

Handelssignale sind nicht immer exogen

Stephan Schulmeister untersuchte insgesamt 2580 Trading-Strategien. Jedes dieser Modelle, das eine Long-Position anzeigte, wurde mit +1 bewertet, jede Short-Position mit -1 und jede neutrale Einschätzung mit 0. Dann berechnete er alle 30 Minuten einen Netto-Positionsindex aus der Summe dieser Zahlen über alle Strategien. Auf diese Weise konnte er das aggregierte Verhalten der Strategien im Zeitablauf verfolgen und mit dem Kursgeschehen abgleichen. Er untersuchte zudem, ob sich die Signale der verschiedenen Modelle gegenseitig ausgleichen, indem er für jedes 30-Minuten-Intervall auch die Anzahl der neuen Long- und Short-Signale analysierte.

Auf Basis seiner Untersuchungen kommt er zu folgenden Erkenntnissen:

Oft liegt die Mehrheit der Signale auf der gleichen Seite des Marktes (Long oder Short). Der aggregierte Indikator ist kaum für längere Zeit im Bereich der Null-Linie, was bei einem Random Walk zu erwarten wäre.
Der Prozess, bestehende Positionen als Reaktion auf einen neuen Kurstrend zu verändern, beginnt in der Regel ein bis drei Perioden (hier je 30 Minuten) nach einem lokalen Hoch oder Tief. Setzt sich der neue Trend fort, dauert es 10 bis 20 Perioden, bis sich die Positionen fast aller Strategien von Long auf Short gedreht haben (oder umgekehrt)
Sobald 90 Prozent der technischen Strategien ein entsprechendes Signal gegeben haben, tendieren die Kurse dazu, sich in Richtung dieser Positionen zu bewegen. Verliert die Bewegung an Dynamik, tragen antizyklische technische Strategien zur Umkehr des Trends bei.

Spannend ist vor allem die Schlussfolgerung, dass sich die einzelnen Modelle kaum gegenseitig ausbalancieren. Der Autor schreibt, dass im Durchschnitt nur 2,3 Prozent aller untersuchten Strategien miteinander handeln, also zur gleichen Zeit gegenläufige Signale auslösen.

Wechselwirkung von Trend und Signal

Der Ablauf einer technisch getriebenen Trendfortsetzung gestaltet sich – für den Fall eines Aufwärtstrends – wie folgt:

Ablauf einer technisch getriebenen Trendfortsetzung:

Zunächst dominiert ein initialer Nachfrageüberschuss nicht-technischer Händler, der etwa durch Nachrichten ausgelöst wird. Diese lassen News Trader steigende Kurse erwarten und entsprechende Long-Positionen eröffnen (Punkte A und B auf Abb. 1).
Anschließend erzeugen technische Strategien eine Serie an Kaufsignalen; zuerst die schnellen Modelle, dann die langsameren. Deren Ausführung trägt zur Trendfortsetzung bei. Allerdings kann es sein, dass dieser Feedback-Prozess allein nicht ausreicht, um den Trend zu erhalten, da stets auch Trader mit Mean-Reversion-Strategien am Markt aktiv sind (zwischen Punkt B und C auf Abb. 1).
Falls der Trend anhält, sind nach einiger Zeit (fast) alle technischen Modelle long positioniert (Punkt C auf Abb. 1). Eine weitere Trendfortsetzung ist nun auf andere, nicht-technische Trader zurückführen. Das können etwa unerfahrene, emotional agierende Akteure sein, die bei der Bewegung noch dabei sein möchten und verspätet aufspringen. Oft halten einmal etablierte Trends deshalb noch einige Zeit an, sodass die bereits investierten technischen Strategien davon profitieren.
Das Ende des Trends wird meist durch Nachrichten ausgelöst. Oft kommt es dann zu einer anhaltenden Gegenbewegung (zwischen Punkt F und G auf Abb. 1), auf die technische Modelle mit entsprechender Verzögerung nach und nach reagieren. Damit kann der Prozess in die entgegengesetzte Richtung von neuem beginnen.

Model eines technischen Trends
Bild 1) Modell eines technischen Trends
Quelle: Schulmeister, S. (2007), The Interaction Between the Aggregate Behaviour of Technical Trading Systems and Stock Price Dynamics, WIFO Working Papers, No. 290, S. 14
Trading-Entscheidungen werden nicht nur rational getroffen, sondern auch auf Basis von Emotionen, die sich durch soziale Interaktion zum Sentiment formen. Deshalb neigen die Kurse dazu, in Trendsequenzen zu fluktuieren.

Wer verliert?

In der Studie werden technische Händler von reinen Noise Tradern abgegrenzt. Bisher wurden diese Marktteilnehmer meist als eine Gruppe betrachtet (nämlich die „Verlierer“). Schulmeister dagegen schlussfolgert, dass die Späteinsteiger und Noise Trader der entscheidende Grund für die Trendverlängerung und damit die Profitabilität technischer Strategien sind. Entsprechend sollten vor allem die Späteinsteiger die Verlierer im Trading sein. Allerdings lässt sich diese Gruppe schwer identifizieren – wohl auch deshalb, weil deren Akteure aufgrund ihrer Verluste häufig wechseln.

Folgt man der klassischen Interpretation der Technischen Analyse, sollte ein Trend umso wahrscheinlicher anhalten, je öfter er erfolgreich bestätigt wurde. Dem Modell von Stephan Schulmeister zufolge ist es dagegen umgekehrt: Je länger der Trend anhält, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass er endet. Der Autor nennt dafür mehrere Gründe:

die Anzahl der Trader, die noch aufspringen möchten, wird kleiner
der Anreiz der Trendfolger, Gewinne mitzunehmen, steigt
antizyklische Trader schätzen den Trend als zunehmend überzogen ein und könnten Gegentrend-Positionen eröffnen, um von einer Umkehr zu profitieren
schnelle technische Strategien setzen frühzeitig auf die Gegenrichtung, wenn der laufende Trend an Dynamik verliert

Eines ist essenziell, damit technische Strategien profitabel sein können: Die Trends müssen für eine gewisse Zeit anhalten, nachdem das Einstiegssignal erfolgte. Nur so können die erzielten Gewinne die anfallenden Verluste aus Fehlsignalen überkompensieren. Schnelle Modelle machen dann Verluste, wenn sie zu früh gegen einen laufenden Trend setzen oder die Gegenbewegung zu klein ausfällt. Langsame Modelle steigen erst relativ spät in einen laufenden Trend ein und können nur profitieren, wenn er noch ausreichend lange anhält.

Rationale technische Strategien

Die Studie gibt einen deutlichen Seitenhieb auf die Effizienzmarkttheorie (EMH). Insbesondere ist fraglich, ob technische Handelsstrategien tatsächlich irrational sind, wie mitunter behauptet wird. Wenn das der Fall wäre, müssten technische Trader im Lauf der Zeit von rationalen Akteuren verdrängt werden – was aber offensichtlich nicht der Fall ist.

Der Autor nimmt dagegen an, dass menschliches Wissen generell nicht perfekt sein kann. Das heißt, dass die Wahrnehmung der Welt heterogen ist und niemand das „wahre Modell“ kennt. Trading-Entscheidungen werden dann nicht nur rational getroffen, sondern auch auf Basis von Emotionen, die sich durch soziale Interaktion zum Sentiment formen. Deshalb neigen die Kurse dazu, in Trendsequenzen zu fluktuieren. In einer solchen Welt sind die in der Wissenschaft oft belächelten technischen Strategien plötzlich vernünftige und praktische Ansätze, um mit stets imperfektem Wissen umzugehen – und um rational von Trends zu profitieren.

Fazit

Das technische Trendmodell bietet eine theoretische Grundlage zur Entwicklung rationaler technischer Handelsstrategien.

Quellen

[1] Schulmeister, S. (2007), The Interaction Between the Aggregate Behaviour of Technical Trading Systems and Stock Price Dynamics, WIFO Working Papers, No. 290

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