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18
05
2021

Trader-Dilemma: Sofort handeln oder abwarten?

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Vor allem dann, wenn es zu Übertreibungen an den Märkten kommt, lässt sich beobachten, dass viele Marktteilnehmer voreilig handeln. In Panik-Phasen steigen sie aus Angst vor weiteren Kursverlusten aus, während sie in Phasen der Euphorie befürchten, weitere Kursgewinne zu verpassen und deshalb zukaufen. Letztlich werden also Transaktionen getätigt, ohne sich zuvor gut informiert zu haben. Wenn genügend viele Marktteilnehmer so vorgehen, können die Kurse bei anhaltender Trenddynamik zunehmend ineffizient sein. Die Ursachen dafür werden von Chad Kendall im Paper „Market Panics, Frenzies, and Informational Effciency“ anhand eines experimentellen Modells untersucht.

Das „Spiel“ mit den Informationen

Extreme Marktbewegungen werden oft als irrational bezeichnet und mit Begriffen wie Panik oder Euphorie umschrieben. Tatsächlich können es aber durchaus rationale Motive sein, die zu solchen Entwicklungen führen. Denn wenn Marktteilnehmer bestimmte Informationen haben, geht es nicht nur darum, diese entsprechend des erwarteten Vorteils zu nutzen – es muss auch berücksichtigt werden, dass ihnen andere Akteure zuvorkommen und die Informationen dann bereits eingepreist sein können. Deshalb kann es sinnvoll sein, bereits frühzeitig zu handeln, auch wenn die Informationen noch ungenau oder unsicher sind.

Ein Laborexperiment

Laborexperimente sind wichtig, da es am echten Markt schwierig ist, entscheidende Parameter wie das Timing und die Qualität privater Informationen zu beobachten oder zu messen. Das Modell basiert auf der Annahme, dass eine gewisse Zeit notwendig ist, um gute Informationen über den Wert eines Assets zu sammeln bzw. zu verarbeiten. Alle Informationen, die in der Zwischenzeit von anderen Marktteilnehmern eingepreist werden, reduzieren den potenziellen Gewinn. Entsprechend besteht ein Trade-Off zwischen schnellem Handeln (Rush) und dem Warten auf bessere Informationen (Wait).

In seiner Studie führt Chad Kendall das Experiment deshalb mit diesen beiden Modellvarianten durch:

Rush: Die Informationen sind mit einer moderat hohen Wahrscheinlichkeit (75 Prozent) richtig. Ein schnelles Handeln ist rational und der Theorie nach zu erwarten.
Wait: Die Informationen sind mit einer kaum besseren Wahrscheinlichkeit als der reine Zufall richtig (54 Prozent). Hier ist es rational, zu warten, bis bessere Informationen vorliegen.

Das Laborexperiment läuft wie folgt ab:

Ein Durchlauf erfolgt über acht Perioden, wobei jeder der acht Teilnehmer insgesamt nur genau einen Trade machen muss
Der Startwert ist 0,5 und der Endwert nach acht Perioden entweder 0 oder 1
Im Laufe der Perioden kommen zusätzliche, private oder öffentliche Informationen hinzu, bis das Ergebnis in der achten Periode sicher ist
Um Lerneffekte zu untersuchen und das Verhalten erfahrener Marktteilnehmer zu beleuchten, werden insgesamt 30 Durchläufe absolviert
Das Experiment wird für Rush und Wait jeweils vier Mal durchgeführt (insgesamt 64 Teilnehmer)
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Bild 1) Beispielhafte Ansicht in Periode 4
Die Teilnehmer müssen in jeder Periode simultan entscheiden, ob sie traden oder warten möchten. Jeder muss innerhalb der acht Perioden genau einmal traden. Dabei sehen die Teilnehmer den Kursverlauf und die Trades der anderen (+1 für Kauf, -1 für Verkauf). Der Kurs wird durch den Computer berechnet und reflektiert fortlaufend sowohl die öffentlich verfügbaren als auch die durch bisherige Trades offenbarten privaten Informationen.
Quelle: Kendall, C. (2020), Market Panics, Frenzies, and Informational Efficiency: Theory and Experiment, S. 86
Viele diskretionäre Marktteilnehmer neigen dazu, verfrüht zu handeln – selbst dann, wenn es aufgrund einer schlechten Informationslage deutlich besser wäre, abzuwarten. Interessant sind in diesem Zusammenhang systematische Strategien, die es ermöglichen, anhand klarer Entscheidungsregeln von solchen Effekten zu profitieren. Der Vorteil ist dabei, dass keine zusätzliche Interpretationsebene mit potenziell verzerrenden Verhaltenseffekten besteht. Die Entscheidungen werden stets objektiv getroffen, sodass positive wie negative Ergebnisse unverfälscht sichtbar sind.
Chad Kendall, „Market Panics, Frenzies, and Informational Effciency“

Trader können nicht abwarten

Beim Rush-Experiment fallen die Ergebnisse so aus, wie es rational zu erwarten war: Schon nach wenigen Wiederholungen neigen die meisten Teilnehmer dazu, bereits in der ersten Periode zu handeln, statt eine weitere Verbesserung der bereits moderat guten Informationslage abzuwarten.

Überraschend ist dagegen das Ergebnis des Wait-Experiments. Theoretisch war zu erwarten, dass aufgrund der schlechten Informationsqualität eine Entscheidung möglichst spät erfolgt, im Idealfall erst in der letzten Periode. Tatsächlich handeln viele Teilnehmer aber schon deutlich früher – auch nach mehreren Durchläufen und entsprechend eher negativem Feedback ihrer voreiligen Entscheidungen.

Der Autor führt das darauf zurück, dass die Teilnehmer einer Momentum-ähnlichen Strategie folgen:

Statt nur rational auf Basis der verfügbaren Informationen über die künftige Entwicklung zu entscheiden, reagieren die Teilnehmer auch auf die zurückliegende Kurshistorie.

Dabei warten sie nur so lange, bis sie sich ausreichend sicher fühlen, das wahrscheinlichste Ergebnis antizipieren zu können und handeln dann in diese Richtung. Im Laufe des Experiments stellt sich dabei ein gewisses Niveau an erforderlicher „Sicherheit“ auf Basis der akkumulierten, vergangenen Informationen ein, ab dem sie bereit sind, sich zu entscheiden. Dieses Verhalten ist erstaunlich robust gegenüber Lerneffekten und hält selbst nach deutlich negativen Erfahrungen an.

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Bild 2) Rush vs. Wait in den ersten und letzten fünf Durchläufen
Wie der Theorie nach zu erwarten, handeln die Teilnehmer im Rush-Experiment (linke Grafik) frühzeitig und lernen im Lauf des Experiments anhand der überwiegend positiven Ergebnisse infolge der bereits moderat guten Startinformation, überwiegend in der ersten Periode zu traden. Im Wait-Experiment halten sie sich dagegen nicht wie der Theorie nach zu erwarten möglichst bis zum Ende zurück, sondern traden trotz eher negativer Ergebnisse infolge der beinahe zufälligen Startinformation zum Teil bereits deutlich früher.
Quelle: Kendall, C. (2020), Market Panics, Frenzies, and Informational Efficiency: Theory and Experiment, S. 89

Das verfrühte Handeln im Wait-Experiment kann auch damit begründet werden, dass sich die Teilnehmer über ihre strategische Interaktion untereinander bewusst sind. Einerseits sind zwar die verfügbaren Informationen eher schlecht, aber andererseits werden die Kosten des weiteren Abwartens überschätzt – schließlich könnten einem die anderen zuvor kommen. Im Ergebnis werden dann eher voreilige Entscheidungen getroffen.

Fazit

Viele diskretionäre Marktteilnehmer neigen dazu, verfrüht zu handeln – selbst dann, wenn es aufgrund einer schlechten Informationslage deutlich besser wäre, abzuwarten. Die Studie zeigt anhand eines Laborexperiments, dass dies in Zusammenhang mit einfachen Heuristiken steht – insbesondere dem prozyklischen Verhalten infolge beobachteter Preistrends (Momentum Trading). Das kann dazu beitragen, dass Übertreibungen sowohl nach oben als auch nach unten verstärkt werden und die Kurse zunehmend ineffizient sind, solange eine anhaltende Trenddynamik besteht.

Interessant sind in diesem Zusammenhang systematische Strategien, die es ermöglichen, anhand klarer Entscheidungsregeln von solchen Effekten zu profitieren. Der Vorteil ist dabei, dass keine zusätzliche Interpretationsebene mit potenziell verzerrenden Verhaltenseffekten besteht. Die Entscheidungen werden stets objektiv getroffen, sodass positive wie negative Ergebnisse unverfälscht sichtbar sind.

Quellen

Kendall, C. (2020), Market Panics, Frenzies, and Informational Efficiency: Theory and Experiment, American Economic Journal: Microeconomics 2020, Vol. 12, Nr. 3, S. 76-115

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