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15
09
2023

Warum ESG-Investments die Welt nicht retten

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ESG und Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Auch am Kapitalmarkt dreht sich alles um die Frage, wie man Rendite mit positiven Auswirkungen auf Umwelt und Mensch verbinden kann. Dr. Marko Gränitz beleuchtet im nachfolgenden Beitrag, ob Divestments von "schelchten" Aktien oder aktives Engagement tatsächlich die erhoffte Wirkung bringen und zeigt auf, worauf es tatsächlich ankommt.

Artikel von Dr. Marko Gränitz, Chefredakteur Alpha for Impact Magazin

Der Begriff Nachhaltigkeit stammt aus der Forstwirtschaft. Das Prinzip war schon vor mehr als 300 Jahren klar: nicht mehr Bäume fällen als nachwachsen. Ganz so einfach ist es am Kapitalmarkt aber nicht. Hier hat sich der Begriff ESG etabliert, der für ökologische (Environment), soziale (Social) und unternehmenspolitische (Governance) Faktoren steht. Meist wird in der Öffentlichkeit aber der Umweltaspekt wahrgenommen, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Zwischenzeitlich können diese Aktien infolge starker Kapitalzuflüsse sogar outperformen. Doch der Effekt ist der Studie „Flow-Driven ESG Returns“ zufolge vorübergehend. Dass keine Outperformance möglich sein dürfte, ergaben u.a. Analysen im Credit Suisse Global Investment Returns Yearbook. Kapitalmarktmodelle sprechen ebenfalls dafür.

Theoretisch unterdurchschnittlich

Um die Portfoliorendite für ein bestimmtes Risiko zu maximieren, muss das verfügbare Anlageuniversum erweitert werden, nicht beschränkt. Werden also Aktien ausgeschlossen, bleibt das Ergebnis im besten Fall gleich, wahrscheinlich fällt es aber schlechter aus. Das gilt vor allem, wenn ausgerechnet die gemiedenen Aktien überdurchschnittlich performen. Empirisch ist das bei den sogenannten Sündenaktien der Fall. Auch dafür gibt es eine theoretische Erklärung, die aus dem Bereich der Marktarithmetik stammt: Alle Aktien müssen von jemandem gehalten werden. Wenn dazu nur ein Teil der Marktteilnehmer bereit ist, können diese höhere Renditeprämien verlangen – und dadurch können nachhaltige Investments langfristig eine (leichte) Underperformance aufweisen, je nachdem, wie umfangreich die Ausschlüsse bzw. Divestments sind. Mit Divestment ist dabei der Verkauf bestehender Positionen in nicht-nachhaltigen Aktien gemeint.

Doch Divestments haben auch etwas Gutes: Im Gleichschritt mit den höheren erwarteten Renditen der „schlechten“ Aktien steigen auch deren Kapitalkosten, mit denen die Firmen ihre Investitionsprojekte (theoretisch) kalkulieren. Die höhere Hürde bedeutet, dass weniger Projekte kalkulatorisch profitabel sein sollten und deshalb auch weniger davon umgesetzt werden. Genau hierin könnte also der Hebel für den positiven Wandel bestehen, den nachhaltige Anleger anstreben.

Doch diese Stellschraube scheint weitaus weniger relevant zu sein als vielfach angenommen. So kommen die Autoren der Studie „The Impact of Impact Investing“ zu dem Ergebnis, dass Divestments die Kapitalkosten der Unternehmen nur um wenige Basispunkte erhöhen. Das ist marginal und dürfte die Investitionen der Unternehmen kaum beeinflussen. Der Grund dafür ist, dass Aktien in hohem Maße substituierbar sind, so die Studie. Wenn eine Gruppe von Anlegern bestimmte Titel verkauft, bedarf es keiner großen Preisänderung, damit andere Investoren bereit sind, diese zu halten. Um eine praktisch relevante Veränderung der Kapitalkosten um mindestens 1% zu bewirken, müssten den Forschern zufolge mehr als 80% des gesamten investierten Kapitals auf nachhaltige Anlagen entfallen. Divestments funktionieren also nur, wenn die Mehrheit der Anleger mitzieht. Doch die Sache hat einen großen Haken: Gleichzeitig steigt auch der Anreiz, auf Sündenaktien zu setzen, da diese immer höhere Renditen erwarten lassen. Wird die Mehrheit der Anleger freiwillig darauf verzichten?

Wandel durch Engagement

Es könnte sogar effektiver sein, die Sündenaktien nicht zu verkaufen, sondern umgekehrt darin zu investieren. Durch das Eingehen großer Positionen könnten sich Investoren dann über ihre Stimmrechte bei den Firmen aktiv für mehr Nachhaltigkeit engagieren. Um auf diese Weise einen vergleichbaren Effekt wie bei Divestments zu erzielen, wäre der Studie zufolge ein wesentlich geringerer Anteil an Anlagekapital erforderlich. Zudem könnten gerade die nicht-nachhaltigen Unternehmen den größten Hebel bieten, um Verbesserungen umzusetzen. Eine Möglichkeit wäre es, sich auf die aussichtsreichsten Kandidaten jeder Branche zu fokussieren. Das könnte im Sinne einer Signalwirkung mit der Zeit auch den Druck auf andere, weniger nachhaltige Firmen dieser Branchen erhöhen, sich ebenfalls zu verbessern.

Einige Experten vertreten die Meinung, dass es nicht sinnvoll ist, sich an „schlechten“ Unternehmen zu beteiligen; man könne dort kaum einen Wandel vorantreiben, wenn das Thema Nachhaltigkeit auf taube Ohren stoße. Besser wäre es, auf „gute“ Firmen zu setzen, die bereits auf dem nachhaltigen Weg sind: Dort sind die Widerstände, weitere Verbesserungen zu erzielen, deutlich geringer. Außerdem funktioniert aktives Engagement nur, wenn der Ansatz ernsthaft und hartnäckig verfolgt wird. Bisher sind die Ergebnisse dazu ernüchternd, so Prof. Dr. Dirk Soehnholz, Geschäftsführer der Soehnholz ESG GmbH („Divestments bewirken mehr als Stimmrechtsausübungen oder Engagement“).  Für Divestments spricht dabei, dass sie ein Druckmittel sein können, sollten Strategien zur aktiven Einflussnahme scheitern. Doch der simple Ausschluss bestimmter Aktien ist aus Sicht der Divestmentverfechter nur der einfachste (und schlechteste Weg), nachhaltig zu investieren. Schon lange existieren bessere Ansätze wie Best-in-Class, wo auf die jeweiligen Branchenführer in Sachen Nachhaltigkeit gesetzt wird.

In der ganzen Diskussion sollte aber nicht vergessen werden, dass wir nach wie vor auf viele Produkte des nicht-nachhaltigen Bereichs angewiesen sind. Dieses Problem löst sich nicht, indem eine Gruppe von Anlegern diese Aktien meidet; dies ändert nur, wohin die Gewinne fließen. Zudem ist zu bedenken, dass man sich Nachhaltigkeit leisten können muss. Frederike von Tucher, Teamhead vom ESG Investment Team bei Flossbach von Storch, schrieb im Magazin „Position“, dass Unternehmen letztlich nur dann Positives für Umwelt und Gesellschaft leisten, wenn sie profitabel wirtschaften und genügend Geld für Forschung und Entwicklung haben. Und noch etwas haben viele nicht auf der Rechnung: Die größten Investitionen sind in den Entwicklungsländern erforderlich. 70% des zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele nötigen Kapitals müssen laut Deirdre Cooper, Head of Sustainable Equity im Multi-Asset-Team  des Investmentmanagers Ninety One, dort investiert werden. Ganz offensichtlich sind dabei auch existenzielle wirtschaftliche Faktoren einzukalkulieren.

Was also tun?

Viele Diskussionen drehen sich im Kreis, was die richtige Umsetzung am Finanzmarkt angeht. Vielleicht sollten wir eine allgemeinere Sichtweise einnehmen. Der Politik und Wirtschaftsbuchautor Mark Schieritz schrieb vor Kurzem in einem Artikel für „DIE ZEIT“, dass es den freien Markt in der Praxis bekanntlich nicht gibt. Der Staat setzt Rahmenbedingungen für Produktion und Konsum. Anreize, Regeln und teils auch Verbote haben sich hier oft bewährt. Es sollten also klare Anreize (Steuern, Förderungen etc.) und Regeln (Verbote) gesetzt werden, die dazu führen, dass die Wirtschaft langsam, aber sicher nachhaltiger wird. Die Idee ist gewiss nicht neu, aber ausbaufähig. Allen Beteiligten muss deutlich signalisiert werden, in welche Richtung die Entwicklung gehen muss. Die Bewertung von Chancen und Risiken überlässt man dem Finanzmarkt. Besonders nachhaltige Anlagen würden natürlich weiterhin jedem Anleger freistehen, doch man müsste es nicht zu einem Bürokratiemonster ausbauen, das für alle Anbieter verbindlich ist und bei dem viele Fragen ungeklärt sind. Oder wie Schieritz schreibt: „Das ist ja tatsächlich die Stärke des Marktes: Er sorgt dafür, dass sich Produktion und Konsum ganz hervorragend an neue Rahmenbedingungen anpassen.“

Was sich ändern muss, sind das Konsumverhalten der Menschen und die Investitionsentscheidungen der Unternehmen; nicht, wer welche Aktien hält. Es braucht einen Umbau im Geschäft der Firmen selbst, um einen realen und dauerhaften Effekt zu erzielen.
Dr. Marko Gränitz, Chefredakteur Alpha for Impact Magazin

Fazit

Nachhaltigkeit ist ein erstrebenswertes Ziel für uns alle. Doch gut gemeint bedeutet nicht immer auch, dass es gut gemacht ist. Wahrscheinlich ist es einerlei, ob Anleger ihr Geld nachhaltig investieren. Die Mechanismen und Anreize sind am Kapitalmarkt einfach nicht dafür geschaffen, dieses Thema zu regeln. Erfrischend positiv wirken dagegen Initiativen, wie sie die Bremer Investmentboutique Intalcon ins Leben gerufen hat: Ein Teil des Umsatzes wird direkt in ökologische und soziale Projekte investiert und damit ein ganz klarer, realer Impact geschaffen.

Was sich eigentlich ändern muss, sind das Konsumverhalten der Menschen und die Investitionsentscheidungen der Unternehmen; nicht, wer welche Aktien hält. Es braucht einen Umbau im Geschäft der Firmen selbst, um einen realen und dauerhaften Effekt zu erzielen; klare Rahmenbedingungen, was Unternehmen erlaubt ist und was nicht; ein bewusstes, nachhaltiges Leben jedes Einzelnen, aktives Engagement in gemeinnützigen Organisationen oder deren finanzielle Unterstützung. Kollektiv und langfristig kann das erhebliche Veränderungen bewirken. Diese müssen sich aus der Realwirtschaft an die Märkte übertragen und nicht umgekehrt: Denn wenn immer mehr Menschen nachhaltig leben, verschiebt sich die Nachfrage und beeinflusst die wirtschaftlichen Entscheidungen der Unternehmen. So könnte Nachhaltigkeit zum festen Bestandteil des Wirtschaftens und damit auch des Investierens werden, ohne es speziell betonen zu müssen.

 

Dieser Beitrag wurde zuerst in der September-Ausgabe 2023 des Magazins „Smart Investor“ veröffentlicht, www.smartinvestor.de. Wir danken dem Verlag für die Veröffentlichungsrechte.

Quellen

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